Das Alpaka Start-Up.
von Kathrin Wiesel-Lancé
Ein Beitrag aus der Süddeutschen Zeitung - Samstag/Sonntag, 18./19. Oktober 2025, Nr. 240
Alpaka-Touren anbieten in der Rhön: Diese Idee wurde vor Jahren beim Bier geboren. Heute haben die Brüder Florian und Marc-André Janz elf Mitarbeiter, 26 Tiere und 50 000 Follower auf Instagram.
Vor dem Flauschen muss erst Regel auf dem Alpaka-Hof. Florian Janz schnappt sich also einen Besen und fängt an, den Stall zu fegen. Lauter murmelgroße Köttel haben die Tiere hinterlassen. Janz kehrt sie zusammen, frischt das Heu an der Futterstelle auf, wischt über die Bänke und Tische auf der Terrasse. Von den Tieren ist noch nichts zu sehen, sie warten draußen auf der Koppel auf ihren Einsatz.
Für Florian Janz, 29, Wanderschuhe und Filzhut, sieht so ein ganz normaler Vormittag aus. Es ist kurz vor elf Uhr, ein Samstag im Oktober. Die Bäume wechseln langsam ins Orangerote. Der Himmel hängt grau über den Hügeln der Rhön, vielleicht regnet es später. Hoffentlich nicht. Samstag ist Großkampftag in Ginolfs, einem 350-Einwohner-Dorf im nordwestlichen Zipfel Bayerns. Janz’ Bruder Marc-André, genannt Maggi, ist schon seit zehn Uhr mit einer Gruppe unterwegs, Bierwandern. Florian wird sich gleich aufmachen, ein paar Hundert Meter runter ins Tal, um die erste Gruppe für die Alpaka-Wanderung abzuholen. Um 15 Uhr am Nachmittag ist dann noch eine zweite Wanderung, mit Alpakas und Aperol Spritz.
Dann mal los zu den Hauptdarstellern des Tages. Florian Janz geht zur Koppel neben dem Stall, die Alpakas scheinen ihre ohnehin schon langen Hälse noch ein bisschen höher zu strecken. Als er das Gatter aufschiebt, strömen die Tiere nach draußen, eins nach dem anderen. Er kennt sie alle mit Namen, natürlich. Da ist Mister X. das schokobraune Alpaka mit den X-Beinen, einer genetisch bedingten Fehlstellung. Da ist der karamellbraune Sánchez, mit 15 Jahren der Älteste der Herde. Da ist der zottelige Sid, benannt nach dem Faultier aus „Ice Age“, weil er genauso gerne Quatsch macht, etwa während der Wanderung stehen bleiben und Äste abknabbern. Die Namen haben sich die Brüder größtenteils selbst überlegt, je nach Charakter der Tiere, manchmal lassen sie auch ihre Follower auf Instagram abstimmen.
Noch vor 20 Jahren waren Alpakas, diese kleinen, flauschigen Geschwister der Lamas, nur eingefleischten Südamerikafans ein Begriff. Das ist längst anders. Alpakas haben das Internet und zahlreiche Herzen erobert, es gibt Alpaka-Tassen und Alpaka-Bettwäsche zu kaufen, man kann mit Alpakas Yoga machen und – wie hier in der Rhön – mit ihnen wandern. Mit sieben Alpakas haben die Janz-Brüder angefangen, 2018 war das. Heute haben sie 26 Tiere, zwei Herden auf zwei Koppeln. Alles Männchen, damit sich die Alpakas bei den Wanderungen nicht gegenseitig ablenken. Die Brüder arbeiten inzwischen in Vollzeit auf dem Hof, haben elf Mitarbeiter und 50 000 Follower auf Instagram. Gerade hat die bayerische Landwirtschaftsministerin sie mit dem Tourismuspreis ausgezeichnet. Läuft, könnte man sagen. War aber nicht immer so.
Das mit den Alpakas sei eigentlich eine Schnapsidee gewesen, sagt Florian Janz. Als er gerade mit seiner Ausbildung zum Elektroniker fertig war und sein Bruder mittendrin, saßen die beiden eines Abends in ihrem Baumhaus auf dem Grundstück der Großeltern, Janz zeigt mit der Hand den Berg hoch. Das Baumhaus steht da immer noch.
Die Großeltern hielten damals auf dem Gelände ein paar alte Pferde, ein Gnadenhof quasi. Er und der Bruder seien dann ins Philosophieren gekommen, nach zwei, drei Bier, erzählt Janz. „Und auf einmal war da die Idee mit den Alpakas.“ Sie suchten spontan auf Ebay, ob es irgendwo in der Nähe solche Tiere zu kaufen gebe. Am nächsten Tag waren sie Besitzer von sieben Alpakas, die auf einem Hof im Nachbarort standen. 10 000 Euro hatten die Brüder angespart, 7000 Euro kosteten die Tiere, für 3000 Euro bauten sie den Stall. Ihre Eltern hätten das damals übrigens für gar keine gute Idee gehalten, sagt Janz – aber denen erzählten die Brüder erst von ihrem Kauf, als er schon getätigt war. Inzwischen stehe die Familie hinter ihnen.
Die Stadt? Das habe ihn eigentlich noch nie interessiert, sagt Florian Janz. Klar sei er auch mal unterwegs, in München, in Hamburg, aber am schönsten sei es zu Hause, auf dem Dorf. Trotzdem wissen er und sein Bruder, was in der Welt außerhalb von Ginolfs ankommt. Sie haben einen Onlineshop aufgebaut und eine Social-Media-Managerin eingestellt, sie haben Markenzeichen etabliert, Florian Janz den Filzhut, sein Bruder die Schiebermütze.
Und warum ausgerechnet Alpakas, hier in der Rhön? Janz zieht die Schultern nach oben. „Einfach so.“ Er und sein Bruder hatten vorher noch nie ein echtes Alpaka gesehen, einen Gutschein für eine Wanderung, den sie mal geschenkt bekamen, haben sie nie eingelöst. Der Start verlief entsprechend holprig. Die Brüder mussten lernen, dass Alpakas gar nicht so verschmust sind, wie viele Social-Media-Videos suggerieren. Allein, um den Tieren ein Halfter anlegen zu können, mussten sie ein halbes Jahr trainieren. Jeden Tag auf die Tiere zugehen, versuchen, sie vorsichtig an Hals und Kopf zu berühren. Alpakas mögen es eigentlich nicht, dort angefasst zu werden.
Mittlerweile ist das Halftern kein Problem mehr. Während Janz die Gäste abholt, legt eine Mitarbeiterin den Tieren die Leinen an. Elf Alpakas kommen heute mit, immer ein Tier für zwei Personen. Ob sie vielleicht den Lenny bekommen könnten, fragt eine Frau mit blonden Haaren. Martina Kehrer wandert mit ihrem Mann und ihrer fünfjährigen Tochter zwar zum ersten Mal mit, aber Bekannte haben ihr erzählt, dass Lenny ein besonders zutrauliches Alpaka sei. Man kennt sich, in der Rhön.
Als alle Alpakas verteilt sind, gibt Florian Janz ein paar Anweisungen: Die Alpakas beim Wandern nicht am Wegesrand fressen lassen, bitte, und bloß nicht am Kopf streicheln. Wenn das Alpaka in eine andere Richtung will, die Leine kurz halten. Und, ganz wichtig: Wenn ein Alpaka ein anderes überholen möchte, sollte man besser mitgehen. Denn Alpaka-Herden haben eine Rangfolge, die sie auch beim Wandern einhalten. Bezogen auf Janz’ Alpakas heißt das: Der weiße Oskar ist ganz vorn. Wenn er stehen bleibt, bleiben auch alle anderen stehen. Wenn er mal nicht die Reihe anführt, warten die anderen, bis er wieder vorn ist. Es brauche in der Regel so zehn Minuten, bis sich die Gruppe eingependelt habe, sagt Florian Janz. Je ruhiger die Wanderer, desto ruhiger die Tiere. Ganz hinten schließt Alessio die Herde ab. Das Alpaka mit dem lockigen Kopf lässt es ruhig angehen, sehr zur Freude seiner Begleiter. „Der hat doch ganz unser Tempo“, sagt Veronika Becher zu ihrem Mann. Das Paar hat die Wanderung zu Weihnachten geschenkt bekommen. Sie sind dafür fast vier Stunden aus München angereist, verbinden das Ganze mit einem Wochenende bei ihren Familien, die in der Rhön wohnen.
Die Route führt durch einen Wald, vorbei an Schafen und einer Forellenzucht, bis
zu einer Lichtung. Zeit für eine Pause. Die Alpakas zupfen am Gras, die Wanderer zücken ihre Handys. Wer beim Laufen noch nicht genug Zeit für Alpaka-Selfies hatte, kann das hier nachholen. 79 Euro kostet die Teilnahme an der Wanderung pro Person. Am Wochenende wandern oft ganze Familien oder Freundesgruppen mit. Unter der Woche sind es eher Firmen, die die Wanderungen als Event für ihre Mitarbeitenden buchen, Teambuilding mit Flauschfaktor sozusagen. Rechnet sich das, finanziell? Ganz so lukrativ wie ihre Jobs als Elektroniker sei das Geschäft mit den Alpakas nicht, sagt Florian Janz – „noch ned“. Aber es laufe deutlich besser als am Anfang.
Kurz nachdem die Brüder vor sieben Jahren die ersten Alpakas gekauft hatten, brach die Pandemie aus. Sie mussten die Wanderungen pausieren. Florian Janz arbeitete erst mal in seinem alten Job weiter, sein Bruder, der schon gekündigt hatte, hielt sich mit digitalen Bierverkostungen über Wasser, erklärte dann also in Videocalls, wie der Brauprozess abläuft und was verschiedene Hopfensorten ausmacht. Er hatte kurz vorher eine Ausbildung zum Biersommelier gemacht, um auch Bierwanderungen anbieten zu können. Acht verschiedene Biere gibt es bei der dreistündigen Wanderung zu probieren, das erste gleich zum Start morgens um zehn.
Heute setzen die Brüder allein auf ihre Alpakas – wer weiß, wie lange der Trend anhält. Sie haben auch Kräuterwanderungen im Programm und Sternenwanderungen, man kann Grillevents und „Survival-Jung-gesellenabschiede“ bei ihnen buchen. Im vergangenen Jahr haben sie im Nachbarort einen eigenen Laden eröffnet, in dem sie Rhön-Gin und Rhön-Duftkerzen verkaufen. Aus dem geschorenen Fell ihrer Alpakas lassen sie Bettdecken und Garn fertigen, alle anderen Alpaka-Produkte, die Kuscheltiere, Socken und Stirnbänder, kaufen sie zu. 26 Alpakas reichen nicht aus, um in großem Stil Accessoires zu produzieren.
Nach knapp zwei Stunden Wanderung kommt die Gruppe zum Stall zurück, Oskar hat zum Schluss noch einen Sprint hingelegt. Man hat den Eindruck, dass manche Teilnehmer auch ganz froh sind, ihre Wanderbegleitung wieder abgeben zu dürfen. Für die Alpakas gibt es zur Belohnung Haferflocken, für die Wanderer Kuchen.
Fragt man Florian Janz, was er an seinem neuen Leben am liebsten mag, überlegt er kurz und sagt: „die Sternenwanderungen im Sommer“. Wenn es abends noch lange warm ist und die Sternschnuppen Hochsaison haben, stellen sie nach der Wanderung manchmal Liegstühle auf die Wiese, die Alpakas sind zu diesem Zeitpunkt längst im Stall. Dann guckt Janz nach oben in den Himmel, vielleicht ein Glas Wein in der Hand. Und nebenan das Baumhaus, in dem alles angefangen hat.
Artikel zuletzt aufgerufen am 21.10.2025.